Was haben Filme wie Star Wars, Harry Potter, Herr der Ringe, König der Löwen und Matrix gemeinsam? Sie bedienen sich alle einer ähnlichen Struktur. Auf zwölf Stationen werden die Helden geschmiedet, für die wir in die Kinos gehen. Das Schema wird „Heldenreise“ genannt. Wie die „Hero’s Journey“ aussieht, das zeigen wir euch heute an den bekanntesten Beispielen der Filmgeschichte. Außerdem findet ihr in diesem fesselnden Video 168 der bekanntesten Heldenreisen meisterhaft vereint:
Die Heldenreise beginnt dort, wo jede Reise beginnt: zu Hause. Unser Protagonist – in diesem Fall Harry Potter – lebt in einer rundum langweiligen Welt im Ligusterweg Nr. 4, wo ihn sein Cousin Dudley und dessen Eltern nerven. Hier ist unser Ausgangspunkt, die erste Station. Doch hinter den Kulissen braut sich Unheil – in Gestalt von Lord Voldemort – zusammen und sorgt für den Übergang zu Stufe 2: Unser Held erhält einen Weckruf, um ins Abenteuer zu starten.
Typischerweise wird dieser Ruf von einem Boten oder Herold überbracht. Doch wisst ihr noch, was bei Harry Potter die Rolle des Herolds eingenommen hat? Es war der Einladungsbrief nach Hogwarts – auf den so manche von uns wahrscheinlich noch immer warten. Hier die Szene:
Szenenwechsel: Frodos Leben im Auenland im ersten Teil der Herr der Ringe Trilogie war friedlich und still, bis sein Onkel ihm ein ungewöhnliches Geschenk macht: er hinterlässt Frodo den mächtigsten Ring der Welt. Ein tolles Geschenk, wenn mit diesem nicht auch die Rettung eben dieser Welt verbunden wäre. Und hier offenbart sich die dritte Station der klassischen Heldenreise: Der Zweifel des Helden an sich selbst.
Als Frodo von den Gefahren um den Ring hört, will er ihn umgehend Gandalf übergeben. Aber so leicht geht’s natürlich nicht: „Versuche mich nicht“, ruft Gandalf, denn der Ring würde den großen Zauberer zu einem Sklaven des Bösen machen. Nur Frodo kann diese Aufgabe erfüllen. Und dann folgt auf den Zweifel die vierte Stufe der Heldenreise: Der Protagonist akzeptiert sein Schicksal – unterstützt durch einen Mentor. Erinnert euch an diesen frühen Moment des Epos:
Schnitt. Raus aus der Fantasy-Welt, rein in den Science Fiction-Kosmos: Im Sci-Fi-Klassiker Matrix hat der Held Neo seine Zweifel an seinem Mentor Morpheus gerade bitter bereut. Denn als er von Geheimagenten verfolgt wird, widersetzt er sich Morpheus´ Rat und wird festgenommen. Wenig später hat er aus seinem Fehler gelernt, folgt Morpheus Ruf und ist deshalb bereit für die fünfte Station der Heldenreise. Dabei überschreitet der Held die letzte Schwelle – jetzt gibt es kein Zurück mehr. Morpheus spricht in der legendären Pillenszene genau diese Worte aus: „Es ist deine letzte Chance, danach gibt es kein Zurück mehr“:
In der Filmtheorie wird dies übrigens oft auch als Schwelle in eine andere Welt bezeichnet, und wirklich: bald nachdem Neo die rote Pille wählt, kann er erstmals die Matrix verlassen.
Wir wissen jetzt: Der Held ist bereit für sein Schicksal. Danach lernt er seine neuen Verbündeten kennen und Morpheus offenbart ihm die Gefahren, denen er gegenübersteht. Somit ist die sechste Station der Heldenreise erreicht: das Kennenlernen von Freund und Feind und die erste Bewährung. In diesem Fall als Kampf gegen seinen Mentor selbst:
Der Held der Star-Wars-Trilogie Luke Skywalker hat sein Training bei Meister Yoda abgeschlossen und sich in einem ersten Kampf gegen Darth Vader bewährt – auch wenn er dabei eine Hand verloren hat. Als er danach noch seinen Freund Han Solo aus der Gefangenschaft von Jabba befreit, ist klar: Luke Skywalker ist bereit für den nächsten Schritt.
Die siebte Station der Heldenreise ist das Eindringen in die Höhle des Bösen. Darth Vader wartet auf Luke im Todesstern, um ihn zu vernichten. Die entscheidende Prüfung findet statt, der letzte Kampf. Die achte Station der Heldenreise ist der Kampf gegen den Erzfeind. Doch erinnert euch, es ist nicht nur Luke, der seiner letzten Prüfung begegnet: Darth Vader besinnt sich zuletzt in dieser Szene, dem Entscheidungskampf der Galaxis:
Jeder Sieg bringt eine Belohnung. Denn diese neunte Station der Heldenreise kann unterschiedlich ausfallen – manchmal ist es die Zuneigung des geliebten Menschen, manchmal die eigene Freiheit. Im ersten Teil von Fantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind wurde der böse Zauberer Grindelwald am Ende besiegt und dingfest gemacht. Dann bekommt unser Held Newt Scamander seine Belohnung. Als er am Hafen steht, zur Abreise bereit, tritt die Hexe Porpentina zu ihm. In einer berührenden Szene verabschiedet sie sich von Newt.
Dieser intime Moment belohnt den Helden (und uns Zuseher) und bringt obendrein sein Buch „Fantastische Tierwesen“ voran. Dann fehlt nur noch ein Schritt: Der Weg nach Hause. Die zehnte Station ist der Weg heim. Denn es wäre keine Reise ohne Heimkehr?
Hier die Szene:
Die Heldenreise macht vor keinem Genre Halt und gerade Animationsfilme sind oft nach ihrem Muster gestrickt. Am Ende des König der Löwen hat Simba den Erzbösewicht Scar in die Knie gezwungen, seine Belohnung war die Erkenntnis: Denn nicht er ist schuld am Tod seines Vaters Mufasa. Nun kann er seine größte Angst ablegen und endlich selbst König sein. Die elfte Station ist die Reifung des Helden. Weise und stark kommt der transformierte Simba aus seinem Abenteuer zurück. Wir wissen jetzt, dass zu wahrer Größe auch Leid gehört. Und zu einem wahren Helden auch Ernst. Aber heißt das, dass man nicht feiern darf? Von wegen.
Simbas Rückkehr wird groß gefeiert, die Freunde sind zu Tränen gerührt. Die Anerkennung für das Heimbringen des Schatzes ist schließlich die zwölfte Station, das Happy End. Aber welchen Schatz bringt er mit? Die Gewissheit, nun seinem Vater ohne Gewissensbisse auf den Thron zu folgen. Genießt nochmal diesen herrlichen Moment.
Achtet doch bei eurem nächsten Kinobesuch mal ganz genau auf die Heldenreise. Denn in den meisten Filmen verbirgt sie sich. Als kleine Übung könnt ihr auch gleich anfangen die Stationen der Heldenreise von unseren Beispielen zu vervollständigen – dabei können bestimmte Stationen natürlich auch abgewandelt auftreten. Zu finden ist sie nahezu überall, aber nicht nur im Film. Wer die Odyssee gelesen hat, der weiß: Diese Struktur ist so alt wie unsere Mythen und Märchen.
Hier noch einmal die 12 Stationen im Überblick:
1. Die Ausgangssituation – die gewohnte Welt wird bedroht
2. Der Aufbruch – der Held folgt dem Ruf ins Abenteuer
3. Der Zweifel des Helden
4. Der Einfluss des Mentors
5. Die Überschreitung der Schwelle – es gibt kein Zurück
6. Die erste Bewährungsprobe und das Kennenlernen von Freund und Feind
7. Das Eindringen in das Herz (die Höhle) des Bösen
8. Die Überwindung der schwersten Prüfung – der Endkampf
9. Etwas wurde gewonnen, ein Wissen, ein Schatz, eine Liebe
10. Der Rückweg in die Heimat beginnt
11. Die Auferstehung – sichtbar für alle ist der Held gereift
12. Das Happy End – Anerkennung und Jubel