Die 70. Berlinale stand für hohe Filmkunst - aber auch Stars wie Johnny Depp, Willem Dafoe oder Roberto Benigni schauten vorbei.
Am Ende gewann zum dritten Mal in zehn Jahren ein iranischer Film den Hauptpreis der Berlinale, den Goldenen Bären: „There is No Evil“ heißt das Werk, und es erzählt episodisch lose verknüpfte Geschichten über die Todesstrafe und ihre Spielarten. Das besondere an dem Film ist sein Regisseur: Mohammad Rasoulof durfte nicht nach Berlin anreisen, weil er im Iran eine Haftstrafe verbüßt, die er zwar nicht im Gefängnis absitzen muss, aber er eben auch nicht außer Landes darf. So geht man dort gerne um mit unbequemen Künstlern, die den Mund zu weit aufmachen, und deshalb ist Rasoulof sogar verboten worden, seinen Beruf auszuüben und Filme zu drehen. Er tat es trotzdem - und landete damit den Coup seines Lebens. Der Goldene Bär dieser 70. Berlinale ist daher auch als politisches Statement zu verstehen: Ein Hilfeschrei für die Freiheit der Kunst.
Filme wie diese werden immer wieder bei der Berlinale ausgezeichnet, das war schon unter Dieter Kosslick so, der bis 2019 das Festival geleitet hat - fast 20 Jahre lang. Nun steht ein neuer künstlerischer Leiter an der Spitze: Carlo Chatrian, ein Italiener, der zuvor das Filmfestival von Locarno geführt hat und der ein bekennender Cineast ist - mit Vorliebe für das Kunstkino.
Dementsprechend sah auch der Berlinale-Wettbewerb aus. Zugleich aber versuchte Chatrian den Spagat, den jeder Berlinale-Chef wagen muss: Schließlich braucht diese Filmschau auch die großen Stars, um Aufmerksamkeit zu generieren. Das ist in Chatrians erstem Jahr bedingt gelungen: Zu den großen (aber gefallenen) Stars gehörte etwa Johnny Depp, der den Film „Minamata“ vorstellte. Die zahllosen Fans schrieen sich die Seele aus dem Leib wie zu guten, alten „Fluch der Karibik“-Zeiten, aber der 56-jährige ist müde geworden. Zu den Interviews nach der Premiere erschien er erst gar nicht, nachdem er die Journalisten zuvor drei Stunden hat warten lassen.
Auch in Berlin war Oscar-Preisträger Roberto Benigni („Das Leben ist schön“) und stellte Matteo Garrones neuen Film „Pinocchio“ vor. Darin spielt er den Geppetto, jene Figur, die das hölzerne Wesen Pinocchio erschuf. Benigni, der 2002 seine eigene Version von Carlo Collodis Geschichte verfilmte, sei sein ganzes Leben von Pinocchio umgeben gewesen. „Ich bin wohl der einzige Schauspieler auf der Welt, der sowohl Pinocchio als auch Geppetto gespielt hat“, sagte er.
Ein schillernder Polit-Star wagte sich ebenfalls aufs Berliner Parkett: Hillary Clinton kam, um eine vierteilige Doku über sich vorzustellen. In „Hillary“ zeichnet Regisseurin Nanette Burstein nicht bloß die Karriere von Clinton nach, sondern verwendet besonders viel Zeit damit, den Wahlkampf von 2016 aufzuarbeiten, bei dem Clinton Donald Trump unterlag. In Berlin hatte Clinton dann einen deutlichen Wunsch, wer der nächste US-Präsident sein soll: „Nicht der gegenwärtige! Dazu habe ich eine ganz eindeutige Position“, sagt Clinton. „Es wird sie nicht überraschen, dass ich es als absolut notwendig empfinde, dass der derzeitige Amtsinhaber abgewählt wird“.
Auch Willem Dafoe kam zur Berlinale, im Gepäck den neuen Film von Abel Ferrara, „Siberia“: Es ist nicht die erste Zusammenarbeit der beiden. „Meistens sage ich bei Abels Projekten sofort zu, ganz egal, worum es darin geht“, sagt Dafoe. „Wir sind beide starke Persönlichkeiten und wissen, was wir wollen. Ich mag, wie er mich in die Arbeit einbindet. Das ganze Filmteam ist wirklich wie eine Familie“. Bei den Kritikern kam „Siberia“, eine wirre Reise in die Gedankenwelt Ferraras, hingegen nicht sonderlich gut an.
Besser fand die Presse da schon die Neuverfilmung von „Berlin Alexanderplatz“ durch den deutsch-afghanischen Regisseur Burhan Qurbani. Der hat kein Remake vorgelegt, sondern die Geschichte ins Berlin des Jahres 2020 verlegt, mit allen gegenwärtigen Problemen und Nöten. In fünf Kapiteln und 183 Minuten steht das Schicksal eines illegalen afrikanischen Immigranten (Welket Bungué) im Mittelpunkt, der nach seiner Überfahrt über das Mittelmeer versucht, sich in Berlin trotz widriger Umstände als anständiger junger Mann zu integrieren. Am Ende blieb der favorisierte Film ohne Preis.
Dafür hatten andere Glück, von der Jury von Jeremy Irons berücksichtigt zu werden: Hong Sangsoo aus Südkorea erhielt den Regie-Bären für „The Woman Who Ran“, eine überaus minimalistische Inszenierung über Frauen, die erstmals nach langer Zeit wieder etwas ohne ihre Ehemäner unternehmen. Als beste Schauspielerin wurde verdient Paula Beer ausgezeichnet, sie spielte die Hauptrolle in Christian Petzolds „Undine“. Als Wassernixe und Sagenfigur führt sie als Fremdenführerin durch Berlin und verliebt sich unterwegs in Franz Rogowski. Es war dies der märchenhafteste Beitrag der 70. Berlinale. Und er zeigte: Neben all der Filmkunst hat man hier das Träumen nicht verlernt.