Zwei Preise fürs heimische Kino und ein goldener Bär für Spanien.
Es war eine ganz eigenartige Berlinale: Die Corona-Pandemie hatte dafür gesorgt, dass am Potsdamer Platz alle Besucher der Filmfestspiele täglich getestet werden mussten, die Kinos durften nur zu 50 Prozent belegt werden, und Partys fanden natürlich auch keine statt. Dennoch war die 72. Berlinale ein Ereignis, vor allem für die Filmkunst: Und weil dieses Jahr auch viele österreichische Filme am Start gewesen sind, die der Jury gefielen, gab es auch bei den Preisen eine für den heimischen Film erfreuliche Bilanz: Denn gleich zwei heimische Produktionen dürfen sich über prestigeträchtige Auszeichnungen freuen, wenngleich Ulrich Seidls Wettbewerbsbeitrag „Rimini“ am Ende leer ausging. Dafür konnte der von Seidl produzierte Spielfilm „Sonne“ von Kurdwin Ayub den Preis für das beste Erstlingswerk abräumen. Die junge Wiener Regisseurin quittierte das Preisgeld von 50.000 Euro mit den Worten: "Ich hoffe, die Steuern nehmen mir nicht das Geld weg. Aber ich glaube, Österreich ist da eh cool.“ Im Film geht es um drei Freundinnen, die ein Burka-Musikvideo drehen: Yesmin ist Kurdin und trägt Kopftuch, Bella nennt sich eine „Halbjugo(slawin)“, Nati „kommt aus Österreich“. Durch Umstände wird das Video viral ein Hit, die drei werden berühmt. Nur die Werte der Freundinnen passen plötzlich nicht mehr zueinander.
Das Mutzenbacher-Experiment
Auch Ruth Beckermann - in Berlin liebt man ihre dokumentarischen Arbeiten - darf sich freuen: Ihre Doku „Mutzenbacher“, die sie in der Sparte „Encounters“ präsentiert hatte, gewann den Hauptpreis der seit 2020 existierenden Sektion. Die 70-jährige Regisseurin setzt sich in dem Film mit dem Roman „Josefine Mutzenbacher“ auseinander und lässt 75 Männer vor ihrer Kamera dazu Stellung beziehen. Ein interessantes und überaus kurzweiliges Experiment mit überraschenden Einblicken in die Sexual-Moral einer weiblich betrachteten Männlichkeit, was wiederum zum Spannungsabbau zwischen den Geschlechtern beitragen könnte. „Das ist so unglaublich unerwartet für mich“, zeigte sich Beckermann überwältigt. Nachdem sie in den vergangenen Jahren zunehmend den Eindruck gehabt habe, dass die Welt kleiner werde, würden nun wieder die Horizonte geöffnet, wenn nicht mehr nur die einzelnen Gruppen sich selbst beleuchteten, sondern etwa Männer auf Frauen und Frauen auf Männer blicken würden.
Der Goldene Bär ging an…
„Alcarras“ von Carla Simón gewann indes den Hauptpreis der Berlinale: Die spanische Produktion wurde in Berlin mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Darin geht es um eine Familie, die jeden Sommer auf ihrer Pfirsichplantage im katalonischen Alcarràs verbringt: Doch die diesjährige Ernte könnte die letzte sein. Solarpaneele sollen die Bäume ersetzen und es droht die Zwangsräumung. Ein einfühlsam komponiertes Drama, eine Überraschung, und auch wieder nicht: Der Film ist durchaus preiswürdig. Die 36-jährige Filmemacherin Simón zeigte sich in ihrer Dankesrede als treue Verfechterin des Festivals: „Ich fühle mich wie ein Kind der Berlinale. Vielleicht sollte ich hierher ziehen.“
Weitere Trophäen
Daneben verteilte die Berlinale weitere Trophäen: Den dritten Preis in Folge, den Großen Preis der Jury, erhielt heuer der Südkoreaner Hong Sangsoo, diesmal für sein schwarzweißes Drama „The Novelist’s Film“. Der Jury-Preis ging an „Robe of Gems“ von Natalia López Gallardo. Der Silberne Bär für die beste Nebenrolle wurde Laura Basuki im indonesischen Frauendrama „Nana“ von Kamila Andini zugesprochen. Die türkischstämmige deutsche Kabarettistin Meltem Kaptan erhielt für Andreas Dresens „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ den Darstellerpreis der Berlinale: „Ich kann das nicht glauben, ich werde Wochen brauchen, um das zu realisieren“, sagte sie in ihrer emotionalen Dankesrede. Im Film spielt sie die reale Figur der Rabiye Kurnaz, die fünf Jahre dafür kämpfte, ihren unschuldig in Guantanamo einsitzenden Sohn freizubekommen. Laila Stieler erhielt für den Film außerdem die Auszeichnung für das beste Drehbuch. Und auch bei den Regisseuren siegte eine Frau: Die Französin Claire Denis wurde für ihre Dreiecksgeschichte „Avec amour et acharnement“ mit einem Silberbären gewürdigt. Vor ihrer Kamera lieben sich Juliette Binoche und Vincent Lindon.
Dass hier viele Frauen als Preisträgerinnen aufscheinen, ist ein Zeichen für den beginnenden Wandel in der Filmszene: Die einst männerdominierten Sparten sind zusehends auch von Frauen besetzt, bis zur Geschlechterparität beim Film ist es aber noch immer ein weiter Weg.