Stefan Ruzowitzky über seinen famosen Film „Hinterland“, der in düsteren Bildern von Kriegsheimkehrern und einem spannenden Kriminalfilm im Wien des Jahres 1920 erzählt.
Interview von Matthias Greuling
Der Kriegsheimkehrer Peter Perg (Murathan Muslu) ist in Wien im Jahr 1920 als Kriminalbeamter im Einsatz. Die Stadt leidet an der Armut der Menschen, überall gibt es Leid, Hunger, Depression und das Verzweifeln über die politische Lage. Ein grausamer Mordfall jagt den nächsten, ein Serienkiller ist unterwegs, und Perg muss gemeinsam mit der Gerichtsmedizinerin Theresa Körner (Liv Lisa Fries) die Ermittlungen führen. Stefan Ruzowitzky drehte „Hinterland“ ausschließlich im Studio vor dem Green Screen und entwarf eine vom Expressionismus geprägte Stadt.
Stefan Ruzowitzky: Was mich an dieser Geschichte fasziniert hat, ist, dass sie in einer Zeit spielt, die im Kino noch sehr wenig behandelt worden ist. Meistens werden die 20er Jahre immer als lustige Zeit voller Tanz und Gelage gezeichnet und die 30er Jahre als Tanz auf dem Vulkan, kurz vor der Machtübernahme der Nazis. Aber diese Zeit so direkt nach dem Ersten Weltkrieg ist filmisch wenig aufgearbeitet. Damals gab es Armut, Hungersnöte, die Spanische Grippe, es waren düstere Jahre. Die Menschen waren brutalisiert und traumatisiert vom Krieg, es gab ganz fürchterliche Verbrechen in der Nachkriegszeit.
Man sollte meinen, die Trauma-Aufarbeitung eines Weltkriegs findet eher in der Ablenkung durch Unterhaltung statt, aber das war damals nicht so. Es gab diese Kunst, die neu war, die war eben sehr expressionistisch und völlig fernab von jener Romantik, die wir später kennenlernten. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat man gesagt, das war jetzt alles so schrecklich und diesmal lassen wir uns nicht auf diese Düsternis ein, sondern sorgen dafür, dass alles blitzblank und sauber ist. Also Doris Day und Marilyn Monroe und der Heimatfilm, wo alles hell ausgeleuchtet und wunderschön bunt ist.
So kann man es sehen. Man war deprimiert und sicher, dass es keinen Gott gibt und nichts Gutes mehr auf der Welt. Diese Zeit war nur der Übergang zum nächsten großen Morden, und ich glaube, je mehr wir zeitlich Abstand zu dieser Zeit bekommen, desto mehr wird man sehen, dass Erster und Zweiter Weltkrieg in Wahrheit dieser eine große Krieg gewesen ist, bei dem es ein paar Jahre Pause gegeben hat und die aufgestauten, destruktiven und negativen Kräfte so stark geworden sind, dass es zu so schrecklichen Ereignissen gekommen ist.
Das Prinzip war, das Collageartige zu betonen und dabei verschiedene Hausteile, Architekturelemente oder unterschiedliche Perspektiven auf ein Gebäude zu vermengen, um daraus eine ganz eigene Welt zu kreieren, die ein bisschen feindlich wirkt. Das ist keine lustige Fantasy-Welt, sondern eine, die aus dem Lot gekommen ist und wo es keinen sicheren Boden mehr unter den Füßen gibt. Wir wollten den Look des filmischen Expressionismus zitieren, denn zur damaligen Zeit sind viele Filme in diesem Stil entstanden. Es ist kein Zufall, dass der Expressionismus in solche Formen gefunden hat, weil die Menschen das halt auch so empfunden haben. Die Verstörung jener Jahre hat darin ein Ventil gefunden. Besonders wichtig war mir, das imperiale Wien zu zeigen, wie es etwas verloren wirkt. Da ist diese große, imperiale, mächtige Stadt, die jetzt plötzlich so gedemütigt ist und das ganze Reich verloren hat und nur noch über dieses Zwergenland rundherum herrscht. Es ist eine bombastische Stadt, für die es gar kein Land mehr gibt.
Am ehesten "Das Kabinett des Dr. Caligari". Der erschien 1920 und war damals extrem erfolgreich. Da waren das Dekor und die Kulissen sehr expressionistisch, es gab darin geknickte Straßenlaternen und die Häuser waren schief. Wir haben also einen Caligari mit digitalen Mitteln gemacht. "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" ist auch ein gutes Vorbild, zumindest was die Story betrifft.